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Freitag, 25.11.2022

Eine Geschichte zum 1. Advent

Gespräch mit einer 99-jährigen Bewohnerin auf dem Sofa…

Es war an einem Freitagabend 21:30 Uhr, mein Dienst also eigentlich schon seit 30 Minuten beendet. Da schaute Frau F. durch die Tür des Dienstzimmers.
"Hallo Schwesterchen," sagt sie mit einem Lachen, "ist nicht schon Feierabend?"
"Och," sagte ich, "manchmal dauert es eben etwas länger."
"Das passiert wohl öfter mit dem länger," meinte sie und schaute mich mitfühlend an.
"Ich kann nicht schlafen," sagte sie.
Daraufhin nahm ich ihre Hand, strich ihr über den Rücken und wir setzen uns auf ein Sofa im Flur.

"Ach wissen Sie," fing sie an zu erzählen, "als ich noch ein junges Mädchen war, da bin ich auch manchmal abends aufgestanden, weil ich nicht schlafen konnte, dann hat mir meine Mutter, die eigentlich immer eine sehr strenge Frau gewesen ist, eine warme Milch gemacht und mir über meine langen geflochtenen Zöpfe gestrichen, … dicke Zöpfe bis zum Hintern hatte ich,… können Sie sich das vorstellen, bei meinen paar Fusseln heute?"
Sie schaute sehr nachdenklich…

"Ach, wenn ich so denke…, als ich dann älter war und nicht schlafen konnte, hat mein Mann immer meine Hand genommen, wir haben uns umarmt und dann hat er mich mitgenommen und gesagt, komm, versuch es nochmal. Er war immer sehr liebevoll, obwohl die Zeiten ja nicht immer leicht waren. Da war ich auch noch jung und schön." In ihren Augen hatten sich Tränen gebildet…

"Ach, wenn ich so denke…,als ich dann noch älter wurde, mein Mann bereits verstorben und meine Söhne aus dem Haus waren, habe ich immer einen Eierlikör getrunken, wenn ich nicht schlafen konnte. Da ich ja früher eine Trinkhalle geleitet habe, müssen Sie wissen, wusste ich natürlich immer was gut schmeckt." Sie schaute mich an und kniff ein Auge zu…

"Ach, wenn ich so denke…, es war nicht alles einfach und nicht alles gut in meinem Leben, aber ich hatte auch kein schlechtes. Der liebe Gott hat mir ein langes Leben geschenkt und ich durfte viel erleben, ich habe viele Menschen kennengelernt, habe viele kommen und viele gehen gesehen. Man muss auch zufrieden und dankbar sein."

Seit diesem Abend kam Frau F. immer um Punkt 21:00 Uhr aus ihrem Zimmer auf das Sofa, holte sich ihren Eierlikör ab und drückte die Schwester, von der sie diesen ausgeschenkt bekam ganz fest.                                          

Frau F. ist 102 Jahre alt geworden und hat dieses Ritual bis 2 Tage vor ihrem Tod beibehalten.

Gerade in der jetzigen für uns alle so herausfordernden Zeit durch die Corona Pandemie, den Krieg, die Umweltereignisse und die Energiekrise muss ich sehr häufig an Frau F. denken.

Viel zu oft vergessen wir die kleinen schönen Dinge, die das Leben für uns bereit hält und … einfach mal dankbar für all das zu sein was wir haben.